Bei meinen Eltern gab es auf dem Gäste-WC ein Bücherbord. Dort konnte man – wenn es mal etwas länger dauerte oder einfach aus Spaß – aus einem bunten Angebot wählen: Kurzgeschichten von Poe, Tucholsky und Hemingway, Gedichte von Kafka, Eugen Roth und Hesse, Comics (Vater und Sohn – ich hab den Autor vergessen) und Kalendergeschichten aus Westfalen, Irland und dem Rest der Welt. Immer wieder ergänzte meine Mutter die Auswahl. Aber meine Lieblinge blieben. Ein Gedicht hat mich schon als junges Mädchen tief berührt und bis heute begleitet. Es ist neben „Stufen“ von Herman Hesse das einzige Gedicht, das ich auswendig aufsagen kann, selbst wenn man mich aus dem Tiefschlaf wecken würde: Die Rose von Eugen Roth.

Als sich die Rose erhob, die Bürde
ihres Blühens und Duftens zu tragen mit Lust,
hat sie, dass es der letzte sein würde
von ihren Tagen noch nicht gewusst.
Nur, dass sie glühnder noch werden müsste,
reiner und seliger hingegeben dem Licht
spürte sie – ach, dass zum Tode sich rüste
so wildes Leben, bedachte sie nicht.
Als dann am Abend mit Mühe der Stengel
ihre hingeatmete Süße noch trug,
hauchte sie, fallend, dem kühlen Engel
welk vor die Füße: „War es genug?“

Heute hat meine Mutschka Geburtstag und auch sie liebt Roths Gedichte. Deshalb beginnt es den Reigen der Gedichte in diesem Blog.